"Unsere Flucht war die Hölle"
Mauer. Es war sehr still im sonst so lebhaft diskutierenden 26-köpfigen Kreisvorstand der CDU Rhein-Neckar, als Yevheniia Desiatova am vergangenen Mittwoch den Rhein-Neckar-Christdemokraten in der Bahnhofsgaststätte in Mauer von ihrer viertägigen Flucht aus der Ukraine nach Deutschland berichtete, die sie gemeinsam mit ihrem 16-jährigen Sohn unternahm.
„Es war die Hölle“, sagte die 38-jährige ukrainische Lehrerin, die in ihrer Heimat Deutsch und Englisch unterrichtet und im Jahr 1994 im Rahmen eines Austauschprogramms zum ersten Mal Deutschland besuchte. Sicher untergekommen sind sie und ihr Sohn seit dem 7. März in Bammental. Eine Tante, die in Östringen lebe, hätten sie nicht aufnehmen können, da diese bereits weitere Verwandte aus der Ukraine beherberge.
„Unsere Gastfamilie ist sehr lieb und nett, dafür bin ich sehr dankbar“, sagt Desiatova, die aber eigentlich die Ukraine nicht verlassen wollte, es mit Blick auf ihren Sohn aber dennoch tat. Zurücklassen musste sie dabei ihren Mann, ihren Bruder und ihre Mutter, welche einen Kindergarten leitet und sich aufopferungsvoll um die ihr anvertrauten Kinder kümmere.
„Meine Mutter wollte auch nicht mitgehen, sie sagte, sie habe die Pflicht, zu bleiben und sich um die Menschen zu kümmern. Zudem kann auch nicht jeder einfach gehen, die Russen erlauben das nicht“, so die Ukrainerin. Dass Russland gegen die Ukraine in den Krieg ziehe, habe die Mehrheit in der Ukraine nicht geglaubt, auch sie nicht. Desiatova: „Ich dachte, wir sind im 21. Jahrhundert, so etwas kann doch gar nicht sein.“
In Bammental bietet die Lehrerin Deutschkurse für Flüchtlinge aus der Ukraine an, die jeden Tag im Großen Sitzungssaal des Rathauses morgens und am Nachmittag angeboten werden. Werbung dafür müsse sie keine machen: „Man kennt mich mittlerweile in Bammental.“
Dass es ihrem 16-jährigen Sohn jetzt wieder gut gehe, das konnte auch Dr. Benedikt Mancini, der Schulleiter des Bammentaler Gymnasiums bestätigen, denn der junge Ukrainer besucht dort die 10. Klasse und ist gut integriert. Mancini nahm ebenfalls an der CDU-Kreisvorstandssitzung teil und informierte detailliert über die Situation von Schülerinnen und Schülern aus der Ukraine an weiterführenden Schulen im Elsenztal. Belastbare Zahlen lägen derzeit noch nicht vor, aber es seien in allen Schularten rund 300 Schülerinnen und Schüler.
„Die Familien stammen aus allen Kriegsregionen, viele haben längere Zeit in Luftschutzkellern ausgeharrt, bevor sie den Entschluss getroffen haben, nach Westen zu gehen. Die Hauptmotivation war dabei, die eigenen Kinder in Sicherheit zu bringen. Alle hoffen auf ein Ende des Krieges und eine sichere Rückkehrmöglichkeit“, führte Mancini aus.
Die ukrainische Regierung rufe dazu auf, die Kinder und Jugendlichen nicht einfach in das deutsche Schulsystem zu integrieren, sondern sie weiterhin den Online-Unterricht der Heimatschulen nutzen zu lassen, so gut es gehe. Mancini: „Diese Bitte der ukrainischen Regierung kann man so aber nicht umsetzen, insbesondere dann nicht, wenn nicht absehbar ist, wann die Schülerinnen und Schüler wieder in ihr Heimatland zurückkehren können.“
Am Gymnasium Bammental werden die Schülerinnen und Schüler in den Fachunterricht aufgenommen und begleitend deutscher Sprachunterricht erteilt. Dies werde kombiniert mit Sprachpaten, welche die ukrainische oder russische Sprache beherrschen. Pädagogik und Didaktik ukrainischer Schulen unterschieden sich grundlegend von deutschen Schulen. „Der ukrainische Unterricht ist in der Tendenz frontaler und strenger, selbstständige Arbeitsformen benötigen eine längere Eingewöhnungszeit“, sagte der Bammentaler Schulleiter.
Es gelte, zahlreiche Herausforderungen bezüglich der Beschulung ukrainischer Flüchtlinge zu meistern, unter anderem mit Blick auf die psychologische Unterstützung, auf die Lehrkräfte und die Schulräume wie auch auf die Integrationsfrage. Wichtig sei es grundsätzlich, dass die Solidarität, die in hohem Maße vorhanden sei und gezeigt, nicht „mit Bürokratie zugeschüttet werde“.
Mancini abschließend: „Der gute Umgang mit unseren ukrainischen Gästen leistet einen Beitrag dazu, der russischen Aggressionsstrategie entgegenzuwirken und die Völkerverständigung zu verbessern. Wir alle hoffen auf einen Waffenstillstand, auf ernsthafte Verhandlungen und Frieden. Zugleich erfährt unsere Gesellschaft einen Zuwachs an sozialem Verantwortungsgefühl, an Empathie und interkultureller Kompetenz und lernt den Wert eines Lebens in Frieden und Sicherheit höher zu schätzen.“
Dr. Albrecht Schütte MdL, Kreisvorsitzender der CDU Rhein-Neckar, der sowohl Yevheniia Desiatova als auch Dr. Benedikt Mancini in den CDU-Kreisvorstand eingeladen hatte, machte auch im Namen seiner Abgeordnetenkollegin Christiane Staab deutlich, dass die CDU Putins völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine auf das Schärfste verurteile: „Über fünf Millionen Menschen aus der Ukraine sind auf der Flucht, Russlands Krieg bringt Tod und viel Leid über viele Menschen, über viele Familien und ihre Angehörigen.“
Schütte und Staab zeigten sich angesichts der großen Hilfsbereitschaft in Deutschland sehr dankbar: „Unglaublich viele Menschen helfen, spenden, nehmen Flüchtlinge auf und unterstützen sie im Alltag. Dafür möchten wir herzlich danke sagen, dies verdient höchsten Respekt.“
Auch zukünftig wird Schütte Gäste in den Kreisvorstand der CDU Rhein-Neckar einladen, um sich mit diesen auszutauschen: "Der direkte Dialog ist am Besten."