„Wir müssen es aushalten, dass wir die Zukunft nicht kennen und damit verantwortungsvoll umgehen“
Rauenberg/Rotenberg. Ein Thema treibt Dr. Christoph Müller, den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Netze BW GmbH, dem größten Netzunternehmen für Strom, Gas und Wasser in Baden-Württemberg, besonders um: die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und der Unternehmen mit Strom. „Das hat für mich höchste Priorität“, sagte Müller, der als externes Mitglied auch der Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ des Landtags von Baden-Württemberg angehört.
„Man muss die Versorgungssicherheit genau beobachten und dann verantwortungsvoll entscheiden: Kann beispielsweise dieses Kohlekraftwerk stillgelegt werden? Wenn ja, dann ist ja alles gut. Wenn nein, dann eben nicht. Ein Stilllegen um des Stilllegens willen und ein Aussteigen um des Aussteigens willen macht keinen Sinn“, unterstrich Müller am vergangenen Mittwochabend auf einem Informations- und Diskussionsabend im vollbesetzen Vereinsheim Sängerklause in Rotenberg. Hierzu eingeladen hatten der CDU-Stadtverband Rauenberg - Rotenberg - Malschenberg und die CDU-Landtagsabgeordnete Christiane Staab, die ebenfalls der Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“ angehört und Handlungsempfehlungen erarbeitet, um das baden-württembergische Gemeinwesen zukünftig resilienter und krisenfester aufzustellen.
In seinem halbstündigen Impulsvortrag beleuchtete Müller die angestrebte Energiewende und machte von Beginn an deutlich: „Das Ende einer fossilen Stromerzeugung wäre wünschenswert, der Klimawandel ist da, und wir müssen schauen, dass wir tatsächlich zu einem klimaneutralen Leben kommen. Aber dieser Satz sagt sich so einfach, in Wirklichkeit ist das eine riesige Herausforderung mit ganz vielen Aspekten.“
Die letzte Regierung unter Angela Merkel habe beispielsweise das „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz“ auf den Weg gebracht, um bis 2038 aus der Kohle auszusteigen. Müller: „Und wer dieses Gesetz liest, der findet am Ende den Hinweis: Wenn das Bundeswirtschaftsministerium sagt, dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist, dann war es das mit dem Ausstieg. Da dachte ich mir: Vielleicht sollten wir uns erst mal Gedanken über die Versorgungssicherheit machen, bevor wir darüber nachdenken, in welcher Reihenfolge wir die Kohlkraftwerke abschalten?“
Der Ukrainekrieg habe dann „die energiewirtschaftlichen Debatten sehr geerdet“: „Plötzlich war jedem klar, dass Versorgungssicherheit nicht irgendein esoterisches Thema ist, sondern ganz konkret gefährdet sein kann. Wären wir bei dem Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien schon weiter gewesen und hätten mehr auf eine eigene und damit unabhängige Versorgung setzen können, dann wäre das erst mal nicht schlecht gewesen.“
Versorgungssicherheit entstehe aus sicherer Erzeugung. „Und damit kommen wir auch zur Totschlagfrage: Wo kommt die gesicherte Leistung in einer erneuerbaren Energiewirtschaft her? Was machen wir, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint? Auf diese Frage gibt es jede Menge komplizierte Antworten und mit Blick auf Wasserstoff, Erdgas, Speicher, Batterien und Geothermie unzählige Gutachten“, führte der 55-jährige Energiewirtschaftler aus.
Müller: „Googeln Sie mal energiewirtschaftliche Studien aus dem Jahr 2000 und gucken Sie mal, was man im Jahr 2000 gesagt hat, wie die Energiewirtschaft 2020 aussehen wird. Fakt ist: Das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, wie die Welt heute aussieht. Niemand hatte die Ölpreiskrise, die Entwicklung der Kernenergie, die Marktliberalisierung, die Einführung des CO2-Handels oder den Lernkurveneffekt bei der PV-Erzeugung (Photovoltaik) auf dem Schirm. Wir müssen es aushalten, dass wir die Zukunft nicht kennen und damit verantwortungsvoll umgehen.“
So unterschiedlich alle Studien auch seien, so wären sie sich in einem Punkt allerding einig: „Am Anfang steht mehr Wind und mehr Photovoltaik. Und das ist das, was wir im Augenblick nur langsam ausbauen.“
In diesem Zusammenhang wies Müller, der an der Universität Stuttgart als Honorarprofessor auf dem Gebiet der Energiewirtschaft lehrt, daraufhin, dass die beiden Mineralölkonzerne „BP“ (ehemals British Petroleum) und „Total“ im Sommer 2023 in Deutschland die Versteigerung gewonnen hätten, auf vier Flächen in der Nord- und Ostsee Offshore-Windkraftanlagen zu errichten. „Mit einem Gebot von fast 13 Mrd. Euro haben sie uns alle, ob EnBW oder RWE, quasi vom Platz gejagt.“
Im Anschluss diskutierte Müller über eineinhalb Stunden intensiv, aber auf erfrischende Weise mit den Anwesenden und beantwortete viele Fragen, hierbei ging es unter anderem um den hohen Strompreis, den Netzausbau, das Netzentgelt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz und jahrzehntelange Genehmigungsverfahren. Mit Blick auf die Energiesicherheit sagte Müller: „Einem deutschen Durchschnittskunden fällt im Jahr für 15 Minuten der Strom aus. Das war schon immer ein Vorteil bei uns: ganz sichere Stromversorgung.“
Deutschland importiere übrigens rund 75 Prozent seines Primärenergieverbrauchs. „Es ist illusorisch zu glauben, dass wir diese Dreiviertel komplett auf erneuerbaren Energien in Deutschland umstellen, das funktioniert nicht.“
Abschließend bedankten sich die örtliche CDU-Vorsitzende Katrin Wagner und die Landtagsabgeordnete Christiane Staab bei Müller „für seinen exzellenten Vortrag und die vielen Informationen.“ (Text/Foto: Matthias Busse)